Ein Hund der knurrt ist nicht gefährlich, er kommuniziert!
(Dr. Dorit U. Fedderson-Peterson)
Was ist Aggression?
Aggression ist ein Teil des normalen Verhaltens und zudem (Über-)Lebensnotwendig.
Aggressionsverhalten muss man auch immer im Zusammenhang mit Angst sehen. Angst ist eine angeborene innere und äußere Stressreaktion des Körpers auf Bedrohung. Es gibt eine sehr ähnliche Beschreibung für Aggression: Aggression ist nämlich eine angeborene innere und äußere Stressreaktion des Körpers auf Bedrohung. Das bedeutet, Angst und Aggression sind zwei mögliche Reaktionen auf ein und dieselbe Situation.
Verhalten in Bedrohungssituationen
Wenn unser Hund eine Bedrohung wahrnimmt, (diese Bedrohung muss nicht objektiv eine Bedrohung sein, es reicht wenn sie vom Hund als bedrohlich empfunden wird) hat der Hund vier verschiedene Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen:
Flucht
Das ist die wahrscheinlichste Möglichkeit, die der Hund, in der Regel wenn möglich ergreifen wird. Er versucht durch die Vergrößerung der Distanz Sicherheit zu schaffen. Falls es sich um eine Situation handelt in der Flucht unmöglich oder als eine schlechte Alternative erscheint (wenn es keinen Fluchtweg gibt, wenn es sich um eine Hündin mit noch sehr jungen Welpen handelt, wenn der Gegner schon zu nah ist etc.) muss er sich für eine andere Alternative entscheiden.
Erstarren
Eine weitere Möglichkeit ist das Erstarren. Erstarren ist etwas, was die meisten eher von Kaninchen kennen, die Erstarren in vielen Situationen als eine
bevorzugte Handlungsweise nutzen, wenn Gefahr droht. Erstarren ist immer dann sinnvoll, wenn die Gefahr noch weit weg ist und man durch Nichtbewegen hoffen kann, nicht gesehen zu werden.
Für das Raubtier Hund, ist zwar die Option des Erstarrens nicht die erste Wahl im Verhalten, aber es gibt immer wieder Tiere, die so reagieren, beispielsweise bei bedrohlich empfundenen Situationen
in der Tierarztpraxis.
Ersatzhandlungen
Die dritte Möglichkeit, die das Tier wählen kann, wenn weder Flucht noch Erstarren sinnvoll erscheinen, ist eine Ersatzhandlung. Hunde neigen beispielsweise
dazu, sich zu kratzen, Spielaufforderung zu zeigen, zu buddeln etc. (Menschen kauen an den Fingernägeln oder rauchen eine Zigarette).
Ersatzhandlungen sind Verhaltensweisen, die aus einem ganz anderen Verhaltensbereich stammen und eigentlich in Moment des Geschehens keinen erkennbaren Sinn haben. Sie erfüllen aber den Zweck des
Stressabbaus. Das hilft nicht unbedingt die Situation zu lösen, entspannt aber die Situation und senkt den eigenen Stresspegel.
Angriff
Wenn diese drei Möglichkeiten nicht funktioniert haben oder dem Hund in Abschätzung der Situation als nicht sinnvoll erscheinen, kommt der Angriff ins
Spiel.
Angriff ist entweder eine weitere Möglichkeit, eine Gefahr auf Distanz zu bringen, indem man sie wegjagt, oder aber die Möglichkeit durch Verletzung oder gar Tötung des bedrohenden Gegners, die
Gefahr ein für allemal zu beseitigen.
Es ist in aller Regel die letzte Option, die ergriffen wird, denn jeder Kampf beinhaltet ein erhebliches Risiko, selbst dabei verletzt zu werden und damit, auch wenn man letztendlich der Sieger des
Kampfes ist.
Die Bereitschaft, des Hundes für welche der genannten Möglichkeiten er sich entscheidet, kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden: der Gesundheitsstatus, der hormonelle Zustand,
Erfahrungswerte, erlerntes Verhalten etc. können dazu führen, dass eine oder zwei dieser Optionen bevorzugt gezeigt werden. Auf diese Weise kann in Situationen, wo das für den außen stehenden
Betrachter gar nicht die erste und sinnvollste Option wäre, ein Hund Angriffsverhalten zeigen, weil er aus Erfahrung gelernt hat, dass das der beste Weg ist, mit einer Bedrohungssituation
umzugehen.
Motivationen für Aggressionsverhalten
Schmerz- bzw. schreckinduzierte Defensivreaktion
Sie ist eine angeborene, reflexartig ablaufende Abwehrreaktion. Sie wird nicht vom Großhirn gesteuert, ist damit auch nur bedingt zu beeinflussen und kommt bei allen Tierarten sowie dem Menschen vor.
Hormonell bedingte Aggression bei Hündinnen
Das ist zum einen ein hormonbedingtes Verhalten während der ersten Lebenswochen der Welpen, oder bei einigen Hündinnen auch während der Scheinträchtigkeit.
Eine zweite hormonell bedingte Aggression der Hündin ist die Konkurrenzaggression gegenüber anderen Hündinnen, vorausgesetzt sie wird nur während der Läufigkeit gezeigt. Nicht jede Aggression
zwischen Hündinnen ist eine hormonell bedingte Konkurrenzaggression. (Bei dieser Form der Aggression macht die Kastration als verhaltenstherapeutische Maßnahme in Bezug auf das Aggressionsverhalten
Sinn).
Spielerische Aggression
Sie ist im Welpenalter vollkommen normal. Wird das aggressive Spiel - z.B. durch Weiterspielen - vom Besitzer verstärkt, kann es zu einem antrainierten Aggressionsproblem führen.
Aggression beim Rüden
Es handelt sich um eine testosteron-abhängige Konkurrenzaggression zwischen Rüden. Ein Großteil der Aggressionsfälle zwischen Rüden hat allerdings damit nichts zu tun; das ist der Grund, weswegen viele Rüden erfolglos im Hinblick auf ihr Aggressionsverhalten kastriert werden. Auch bei der Aggression zwischen Rüden spielt Erlerntes und vieles was vom Menschen bewusst oder unbewusst antrainiert wird, eine große Rolle. Es kann sich also bei aggressivem Verhalten um Sozialisationsdefekte mit daraus resultierendem Angstverhalten handeln. Dies sollte man abklären, bevor man sich zur Kastration entscheidet. Sonst kann man aus seinem Rüden recht schnell einen Angstbeißer machen.
Territoriale Aggression
Territorialverhalten ist genetisch fixiert und tritt erst mit Erreichen der sozialen Reife auf. Ein sechs Monate alter Hund, der auf seinem Grundstück beständig bellt, ist also nichts anderes als ein "Hasenfuß" - er zeigt kein Territorialverhalten. Territoriale Aggression tritt erst dann auf, wenn der Hund sozial erwachsen wird. Das Territorialverhalten kann nicht beeinflusst werden, sehr wohl aber die damit verbundene Aggression; das territoriale Verhalten ist entweder vorhanden oder nicht und der Besitzer des Hundes muss lernen damit umzugehen.
Pathologische (krankhafte) Aggression
Jede Form von Erkrankung oder Veränderungen des Gehirns können zu aggressivem Verhalten führen. Infektionen, wie die Borreliose und vor allem die Hypothyreose
spielen hier eine große Rolle. Bei einer ganzen Reihe von Rassen handelt es sich dabei um ein genetisches Problem auf einer ziemlich breiten Basis.
Typisch für ein pathologisch aggressives Verhalten ist, dass es häufig ohne erkennbaren externen Auslöser auftritt, oder, wenn ein solcher Auslöser da ist, er in einer der Situation unangemessenen
Intensität beantwortet wird. Es ist häufig mit sehr abrupten Stimmungsschwankungen verbunden. Das heißt, in einem Moment ist der Hund hochgradig aggressiv, dann wird wie ein "Schalter" umgelegt und
der Hund ist friedlich und freundlich, als wäre nichts gewesen.
Bei der Diagnostik muss man allerdings sehr vorsichtig sein. Besitzer berichten sehr häufig, dass der Hund plötzlich und unerwartet und grundlos aggressiv geworden sei. Bei genauerem Befragen stellt
sich dann aber meistens heraus, dass der Hund mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln schon längere Zeit gewarnt hatte, aber niemand hat es wahrgenommen. Aber wenn man einigermaßen sicher
abklären kann, dass wirklich keine vorhergehenden Anzeichen für die Aggression da waren, sollte man immer an eine pathologische Ursache denken.
Jagdverhalten
Es ist keine Aggression und wird auch von ganz anderen Bereichen im Gehirn gesteuert. Es kann aber durchaus sehr dramatisch ausgehen, und zwar dann, wenn es
gegenüber Artgenossen oder gegenüber Menschen gezeigt wird, insbesondere dann, wenn dabei keine erkennbare soziale Interaktion stattfindet.
Ein Hund, der Jogger hetzt, ist nicht allein dadurch gefährlich - was nicht heißt, dass er einfach Jogger hetzen sollte. Hetzverhalten ist für ein Raubtier vollkommen normal. Es ist allein eine Frage
der Erziehung, das zu verhindern. Was kritisch ist, ist, wenn das Jagdverhalten, das der Hund zeigt, gegenüber Artgenossen ohne irgendeine erkennbare soziale Mimik und Gestik stattfindet. Dann hat
der Hund ein Defizit in Bezug auf soziale Interaktionen mit Sozialpartnern, auf die er geprägt wurde - und das kann eine echte Verhaltensstörung sein. Sie kommt allerdings sehr selten vor.